Das blaue Wunder | An der Diskussion um den richtigen Standort und die richtige Aussage für ein Denkmal zur Einheit wird deutlich, wie schwer es heute ist, das Gedenken an den 9.Oktober räumlich zu verorten. Sicher, es gibt die Nikolaikirche und den Nikolaikirchhof, die Runde Ecke und den Hauptbahnhof – aber schon der Augustusplatz ist in seiner räumlichen Erscheinung stark verändert und überformt. Manche architektonische Zeichen, die wie selbstverständlich an das Phänomen der friedlichen Revolution erinnern könnten, sind gänzlich aus dem Stadtbild verschwunden. Dazu gehört das „Blaue Wunder“, jene Fußgängerbrücke, die die Straßenkreuzung am Goerdeler Ring in zwei Richtungen überspannte, bis sie 2004 rückgebaut und verschrottet wurde.
Während der Montagsdemonstrationen gehörte die Brücke zweifelsohne zu den architektonischen Hauptakteuren. Die Bilder, die in den westlichen Nachrichtensendungen gezeigt wurden, waren zum großen Teil auch Bilder und Filmaufnahmen von und mit dem „Blauen Wunder“. Als einziges Brückenbauwerk über den Innenstadtring markierte sie in zweifacher Hinsicht ein mediales Tor: Sie war zum einen Display für Transparente, deren Inhalte verbal verstärkt von den Demonstranten auf der Straße skandiert wurden. Zum anderen war die Brücke erhöhter Aussichtspunkt, von dem aus die friedliche Massenbewegung besonders gut eingefangen und für die Verwendung in den weltweiten Massenmedien in Szene gesetzt werden konnte. Die Bilder von der Brücke zeigen vor allem eins, in diesem Stück spielt die Bevölkerung die Hauptrolle.
Die Bilder und Filmaufnahmen vom „Blauen Wunder“ sind heute Bestandteil der kollektiven, medialen Erinnerung. An Hand des verschwundenen architektonischen Zeitzeugen können gerade deshalb viele Themen und Widersprüche abgebildet werden. Der Mut der Menschen, die Rolle der westlichen Medien, aber auch die Gefahr, der die Demonstranten ausgesetzt waren. Denn natürlich war die STASI mit an Bord und nutzte die Brücke als Stützpunkt für die Überwachung der Massen.
Dennoch geht es bei der Installation nicht um ein mediales Re-Make der Brücke. Die Historisierung der Bilder würde nur die Tendenz der Mystifizierung der Ereignisse stärken und dazu beitragen aus dem Mythos Heldenstadt eine verwertbare Marke machen.
Es ist der neuerliche, inszenierte Blick vom erhöhten Standpunkt auf die Massen. Dieses Mal von einer verschwundenen Brücke, der wie ein medialer Spiegel wirkt. Wie vor zwanzig Jahren spielen die Menschen auf der Straße die Hauptrolle und müssen sich selbst aufs Neue befragen, wofür sie heute auf die Straße gehen, für welches Politikverständnis sie heute eintreten.